Auf High Heels dem Himmel ein Stückchen näher

Werke von Yan Rechtmann im BBK Frankfurt

„Diese weiblichen Brüste und die Milchbar verstehe ich als Symbol für die Ausbeutung der Erde“, sagt Yan Rechtmann. Foto: Edda Rössler
„Diese weiblichen Brüste und die Milchbar verstehe ich als Symbol für die Ausbeutung der Erde“, sagt Yan Rechtmann.
Foto: Edda Rössler

„Ich hasse es, dass der Himmel so hoch ist“, das bedeutet der Begriff High Heels in unserer Sprache“, sagt die deutsch-chinesische Künstlerin Yan Rechtmann (1968), selbst bekennender High Heels-Fan, mit einem Augenzwinkern. Ihre Werke bespielen derzeit die Ausstellungsräume des BBK Frankfurt. Viel Platz braucht sie, denn mitgebracht hat die „Totalkünstlerin“ knallige Installationen, tiefsinnige Objekte, bunte Ölgemälde und verspielte Zeichnungen. „Alles gehört zusammen, das ist eine Einheit wie Ying und Yang. Man kann nichts separiert betrachten.“ Diese Überzeugung verbindet sie mit dem deutschen Künstler Timm Ullrichs, dem Urvater der Totalkunst. Neo-Dadaismus, Konzeptkunst und Performances, das sind gemeinsame künstlerische Spielwiesen.

Auch ihr Äußeres verwandelt sie in ein Kunstobjekt mit Wiedererkennungswert. Zum Begriff wurde Rechtmann nicht zuletzt wegen ihrer markanten Erscheinung, zu der dunkle Sonnenbrille und eine quietschgelbe Perücke gehören. Die Tochter eines hochangesehen chinesischen Mandarins und Architekten („Ich bin so etwas wie eine chinesischen Prinzessin“), die im südchinesischen Zhanjiang das Licht der Welt erblickte, ist einerseits stolz auf ihre Herkunft, will aber gleichzeitig vor dem aktuellen China warnen. „Die gelbe Gefahr“, sagt sie, „ist durchaus vorhanden. Dort herrscht eine Diktatur.“

Verkleidung und Kostüme gehören wie selbstverständlich zu ihrem Wirken. „Theater spielen wurde mir in die Wiege gelegt, denn die Mutter trat als bekannte Schauspielerin in Kanton-Opern auf. „Das Licht im Theater, das Bühnenbild und der Geruch liegen mir im Blut.“ Ebenso humorvoll und zielorientiert wie die Künstlerin, die im „Nebenjob“ nach einem Germanistik- und Jurastudium als vereidigte Dolmetscherin für die Justizbehörde arbeitet, präsentieren sich ihre Werke: Ihre Botschaften sind durchaus politisch und als Statement zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen gedacht.

„Territorium“ heißt da eine großformatige Installation aus Papier, Plastik und Stoff. Die Künstlerin thematisiert das grausame Schicksal von Flüchtlingen, die über das Meer fliehen, um eine bessere Zukunft zu erhaschen. Aus Zeitungen und Fotopapier bastelte sie während der Coronazeit unzählige, kleine weiße Segelbötchen, die sie auf blauen Karton montierte, in der Mitte prangt eine orangefarbene Rettungsweste. Ein Schiffchen allerdings ist im Meer bereits versunken. Damit initiiert sie beim Betrachter nahezu spielerisch Denkprozesse, die letztendlich betroffen machen. „Ich reflektiere das Zeitgeschehen, ich reagiere und agiere. Das gehört für mich zur Kunst.“

Auch der Frage „nach der Moral und dem Fressen“ stellt sie sich. In einer Performance, deren Überbleibsel noch in wie in einem Ritual in einem Kreis auf dem Fußboden versammelt sind, hatte sie 30 Kilo Chinakohl, das Kilo jeweils zum gleichen Preis, verkauft. „Ganz frech habe ich damit die Frage gestellt, was kostet die Moral pro Kilo.“

Nicht versäumen sollte man bei dem Rundgang durch Yans Kunstwelten den Besuch ihrer „Milchbar“. Dort erwarten den Besucher keineswegs fruchtige Milkshakes und auch die wie Lampen aufgehängten, großen Brüste sollen nicht „Sexyness“ heraufbeschwören. „Diese weiblichen Brüste und die Milchbar verstehe ich als Symbol für die Ausbeutung der Erde“, sagt die Künstlerin. Selbst die im aufgehängten „Wirsing-Bikini“, einem Lieblingsexponat des BBK-Chefs Viktor Naimark, gesendeten erotischen Signale unterliegen einem Verfallsdatum. Immerhin werden sie von der Künstlerin regelmäßig aufgefrischt.

Ironie, Intelligenz und kreative Verspieltheit zeichnen diese Kunstwelt aus. Selbst wenn man die Ausstellung der Totalkünstlerin Yan Rechtmann nicht in High Heels betritt, fühlt man sich dem Kunsthimmel ein Stückchen näher.

Weitere Informationen unter www.bbk-frankfurt.de

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht am 20. Februar 2023 in Frankfurter Neue Presse