Die besten Fotos für den Herbst

Text von Edda Rössler

veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse am 5. Oktober 2019

Auch das ist Frankfurt: In unserer kleinen Großstadt kann man sich viele Ausstellungen anschauen, denn die Wege sind kurz. Egal, ob bereift, zu Fuß oder mit den „Öffentlichen“, im Westend, in Sachsenhausen und dem Ostend laden derzeit gut kuratierte Ausstellungen angesagter Fotografen zum Besuch ein.

„Postcards from Europe“
In der Arndtstraße 12 im Frankfurter Westen bittet die Westend Galerie, die sich der Präsentation italienischer Künstler verschrieben hat, zur Ausstellung „Postcards from Europe“. Der 1988 in Neapel geborene Fotograf und Literaturwissenschaftler Ottavio Selitti zeigt auf vier Tafeln seine Vision eines einheitlichen Europas. Eigens für die Ausstellung hat er eine großformatige Foto-Installationen in Schwarz-Weiß entwickelt, die eine Fülle an Stadtansichten europäischer Städte im Postkartenformat zeigt. Immer wieder gelingt es ihm, verbindende und ähnliche Elemente künstlerisch in den Vordergrund zu stellen. Dabei wird der Betrachter eingeladen, die abgebildeten Länder und Orte zu erraten. Da jedes Foto nummeriert und in einer separaten Broschüre aufgeführt ist, wird das Resultat rasch gefunden. Bei dem verblüffenden Quiz offenbart sich vor allem, wie ähnlich europäische Stadtlandschaften sein können. So verwandelt sich eine Berliner Straßenszene im Handumdrehen in einen Spaziergang in Marseille und umgekehrt. Die ästhetischen, analog fotografierten Fotos sind auf Barylpapier vom Künstler selbst in Handarbeit hergestellt. Europa ist eben auch Handarbeit.

Freuen sich über Sellittis Installation: (links) Dr. Caroline Lüddersen (Vorstand Deutsch-Italienischer Verein) und Kuratorin Barbara Thurau Fotograf: Edda Rössler
Freuen sich über Sellittis Installation: (links) Dr. Caroline Lüderssen (Vorstand Deutsch-Italienischer Verein) und Kuratorin Barbara Thurau
Fotograf: Edda Rössler
(c) OTTAVIO SELLITTI, Postcard from Europe, Berlin, 2016, Analogfotografie
(c) OTTAVIO SELLITTI, Postcard from Europe, Berlin, 2016, Analogfotografie

Ab ins Frankfurter Ostend – „Recollection“
Wie individuell und zugleich verträumt Europas Städte anmuten können, beweisen die eindrucksvollen Stadt- und Landschaftsansichten von Laurenz Berges (53 Jahre), die er Anfang der 90er Jahre in seiner Heimatstadt Cloppenburg aufnahm. Die auf der Hanauer Landstraße 136 in einem liebevoll restaurierten Gebäude im zweiten Stock gelegene Galerie Wilma Tolksdorf präsentiert sie in der Ausstellung „Recollection“. 29 C-Prints, alle im Format 39 x 44 cm, bespielen neben aktuellen Werken die hohen, weißen Wände. Berger, der sich der Tradition der Düsseldorfer Becher-Schule verbunden fühlt, kehrte Anfang 1990 nach einem einjährigen Aufenthalt in New York in die im Nordwesten des Oldenburger Münsterlandes gelegene Kleinstadt zurück. So ist seine fotografische Annäherung an die oft im Nebel verhüllte Stadt mit ihrer kargen Geest-Landschaft auch von der Großstadterfahrung geprägt. Bei seiner Wiederentdeckung meidet er Effekthascherei und bewahrt einen klaren, wenn auch emotionalen Blick. Gemeinsam mit ihm entdeckt der Betrachter menschenleere, verlassene, aber nicht einsame Plätze. Berges klare und behutsame Bildausschnitte führen fast filmisch in gefundene, nicht inszenierte Szenen ein. Man spürt den Hauch der Vergänglichkeit und hat Appetit auf einen Ostfriesentee.

Peter Hess (Galerie Wilma Tolksdorf) vor den Cloppenburg-Fotos Fotograf: Edda Rössler
Peter Hess (Galerie Wilma Tolksdorf) vor den Cloppenburg-Fotos
Fotograf: Edda Rössler
1 Laurenz Berges, Cloppenburg Serie, 1989-1990, C-Print, gerahmt, 39 x 44 cm, Ed. 9, Courtesy GALERIE WILMA TOLKSDORF
1 Laurenz Berges, Cloppenburg Serie, 1989-1990, C-Print, gerahmt, 39 x 44 cm, Ed. 9, Courtesy GALERIE WILMA TOLKSDORF

Laura J. Padgett – „Open Equations“
In Sachsenhausen gibt es nicht nur Äppelwoi, sondern auch anspruchsvolle Fotokunst in der Galerie Peter Sillem in der Frankensteiner Straße 1. Seine aktuelle Künstlerin, die Amerikanerin Laura Padgett (1958) setzt eher auf Kalkül, denn auf Gefühl. Da passt der Ausstellungstitel „Open Equations“ (Offene Gleichungen). Denn beim Lösen offener Gleichungen kommt zwar unser Wissen ins Spiel, doch letztendlich ist das Resultat ungewiss. Die Vielschichtigkeit ihrer Motive ist ein prägendes Stilelement. Die Künstlerin, die sowohl Malerei als auch Fotografie und Film studierte, kennt sich als Magistra Artium in der Kunstgeschichte aus. Diesen Hintergrund nutzt sie für ihre Kunst. Bei Sillem bespielen zumeist Motive aus dem Libanon die Galerieräume. Es scheint, als ob Padgett bei ihren Aufnahmen lange auf den perfekten Moment gelauert hätte. Stets fotografiert sie Räume, Architektur und Gärten mit einer mehrdeutigen Aussage. Oft wird der Verfall der Räume spürbar. Wir sehen Rost, gelbe Blätter oder zerbröselnde Steine und haben den Eindruck, dass die Situation gerade noch einmal aufblüht, um in Kürze in sich zusammenzubrechen. Padgetts Farbaufnahmen sind im Pigment-Print-Druckverfahren auf Hahnemühle-Papier gedruckt und erscheinen in einer kleinen Auflage.

Galerist Peter Sillem vor einem Foto von Laura J. Padgett Fotograf: Edda Rössler
Galerist Peter Sillem vor einem Foto von Laura J. Padgett
Fotograf: Edda Rössler
Laura J. Padgett, „PRECIPITATION“ © Galerie Peter Sillem
Laura J. Padgett, „PRECIPITATION“ © Galerie Peter Sillem

Die Ausstellungen sind jeweils zu den üblichen Galeriezeiten geöffnet.

Weitere Informationen unter www.div-web.de, wilmatolksdorf.de und www.galerie-peter-sillem.com