Die Zeit ist auf ihrer Seite!

Bronze, Kreide, Seide –

Jürgen Krause, Jens Risch und Jan Schmidt bei Anita Beckers

Text und Foto von Edda Rössler

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse am 22. Juli 2020

(v.l.) Jürgen Krause, Anita Beckers, Jens Risch und Jan Schmidt
(v.l.) Jürgen Krause, Anita Beckers, Jens Risch und Jan Schmidt. Fotograf: Edda Rössler

Time is on my side“, sangen schon die Rolling Stones. Genau darum geht es in der aktuellen Ausstellung bei der Frankfurter Galeristin Anita Beckers. Sie präsentiert drei Künstler, in deren Schaffen Zeit als kostbares Objekt gewürdigt wird. Zeit, die ihnen gehört, ohne getaktet, materialisiert oder kapitalisiert zu werden. Jürgen Krause (49), Jens Risch (47) und Jan Schmidt (48) arbeiten mit unterschiedlichen Materialien wie Bronze, Kreide und Seide. Wichtig ist den Brüdern im Geiste, alle ehemalige Städelschüler mit Atelier in Frankfurt, nicht zuerst das entstandene Kunstwerk, für sie steht der schöpferische Entstehungsprozess selbst im Mittelpunkt. Mit diesem Credo setzen sie die Fluxus-Tradition fort, zu der solch prominente Vertreter wie Yoko Ono und John Cage zählen.

Sanft fallen die Sägespäne

Da präsentiert sich Jan Schmidt mit einem Bronzestück, einer Säge und Sägespänen. Noch ist er am Beginn seiner künstlerischen Arbeit. „Ich will den Prozess betonen und sehen, was beim Sägen verloren geht“, sagt er. Seit Ausstellungsbeginn sägt Schmidt an die drei Stunden und plant, sein Werk am Tag der Finissage abzuschließen. „Interessant ist die scheinbare Unberührtheit, wenn das Sägeblatt in die Bronze hineinfährt“, beschreibt er seine Faszination an dem schöpferischen Prozess. Spannend ist zudem sein Beitrag im benachbarten Raum. Schmidt wollte ursprünglich auf einem Frachtschiff von Frankfurt nach Montevideo reisen, musste jedoch bedingt durch die Corona-Krise in Rio de Janeiro kehrtmachen. Immerhin hat er 27 Tage auf dem Frachtschiff verbracht und von der Reling aus den Horizont beobachtet und gezeichnet. Auch hier galt Eile mit Weile, „die Linien sind sehr langsam entstanden.“

In Kreide gemeißelt

Im Gespräch gibt sich der Künstler Jürgen Krause, der sich auf die Arbeit an Kreidestücken konzentriert, ruhig und entspannt. Sein rechteckiges, an der Oberfläche glattes Kreidestück wiegt an die 15 Kilo und zeigt an den Rändern zarte Rillen und Fransen. Es resultiert aus einer mehrmonatigen Entstehungsphase, in der er täglich bis zu acht Farbschichten auf ein Stück Papier, jeweils auf die Vorder- und die Rückseite, grundierte. Eine geheimnisvolle Aura geht von dem Kreidestück aus, geheimnisvoll erscheint auch die Rezeptur der Grundierung, für die er Hasenleim, viele Pigmente, Nelkenöl und Alaun verwendet. „Durch die Ablagerung der Farbe am Rand und durch den Pinselauftrag ergeben sich Bewegungen, die ich nicht steuern kann.“ Das Kunstwerk erhält eine eigene Dynamik und wird zum „Körper“. So prangt es, wunderschön anzusehen, selbstbewusst in einer Vitrine. Als Zugabe zeigt er karierte Blätter, wie wir sie aus Notizblöcken kennen. Der Clou daran ist, dass sie mit ruhiger Künstlerhand gemalt sind. Wie er das schafft, auch das bleibt ein Rätsel.

Märchenhafte Seidenknoten

Abbildung Seidenstück VII

Der in Thüringen geborene Jens Risch, der vom Äußeren durchaus in ein Fantasy-Videospiel passen würde, knotet seit vielen Jahren Seide. Bei Beckers behauptet sich sein stattliches „Seidenstück Nummer 7“, dessen organische Form besticht. Es ist aus einem 1000 m langen Faden aus Ökoseide in sehr kleinen Schritten entstanden. Risch nimmt sich jeweils einen halben Meter aus der Fadenspule heraus und dann formt er täglich mehrere Stunden lang Knoten an Knoten. An diesem Seidenstück habe er an die 1700 Stunden gearbeitet. „Das ist etwas länger als üblich, weil ich ab und zu auch mal die Führungshand wechselte.“ So genau er seine Knoten nimmt, so genau führt er bei den Arbeitsstunden Buch. Akribisch notiert er Arbeitszeiten und stellt die Auflistung ebenfalls aus. Der Meister des Seidenknotens wird sich in Kürze einer neuen Herausforderung widmen. Er verlässt den Seidenpfad und arbeitet mit Baumwolle. „Dafür müssen keine Raupen geopfert werden.“

Wir können natürlich sagen, die spinnen, die Jungs! Doch Galeristin Beckers setzt auf die Botschaft. „Wir leben in einer beschleunigten Zeit und erfahren hier, wie wertvoll Entschleunigung ist.“ Wohin uns die sinnlose Raserei brachte, auch das haben die Rolling Stones jüngst in ihrem Hit „Living in a Ghosttown“ besungen. Dann schon lieber „Bronze, Kreide und Seide“.

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. August 2020 geöffnet

Weitere Informationen unter galerie-beckers.com

Fotograf: Edda Rössler

Fotos der Kunst-Objekte: © Galerie Anita Beckers