Mehr als nur eine frische Brise – Toni Wombacher inszeniert die Farbe Rot

Also sprach das Bettlaken, das könnte die in Aschaffenburg geborene Künstlerin Toni Wombacher (1968) in Anlehnung an den Philosophen Friedrich Nietzsche sagen. Ihre Installation „Breeze‘“, die aus langen, tiefroten Baumwolltüchern besteht, bespielt den kleineren Ausstellungsraum des Kunstverein der Familie Montez. Im leichten Wind, den ein seitlich in der Ecke aufgestellter Ventilator erzeugt, bewegen sich die an Seilen aufgehängten Stoffe sanft. Eine einladende Windbrise schaukelt die Tücher, verwandelt sie in ein Farbenmeer und gibt den Blick auf viele Facetten von Rot frei. Sanften Wellenbewegungen gleich greift jeder Lufthauch in das Geschehen ein und kreiert neue Impressionen.

Künstlerin Toni Wombacher mit Mirek Macke (Leiter Kunstverein Familie Montez) in der Stoff-Installation „Breeze“ Foto: Edda Rössler
Künstlerin Toni Wombacher mit Mirek Macke (Leiter Kunstverein Familie Montez) in der Stoff-Installation „Breeze“
Foto: Edda Rössler
Die Künstlerin Toni Wombacher plant ihre Projekte exakt. Mit ihrem Zollstock hat sie den Ausstellungsraum im Kunstverein Montez genau ausgemessen. „Ich rechne gerne, das gibt eine gewisse Sicherheit.“ Mit der aufwändigen Vorbereitung für „Breeze“ ging sie an ihre Grenzen.

Fünf Stahlseile durchziehen den Raum in Längsrichtung auf einer Höhe von drei Metern und unterteilen ihn sechs Zonen. In der Mitte erlaubt ein kleiner Durchgang den Blick auf die gegenüberliegende Wand. Das Beschreiten von „Breeze“ ist kein Gang durch ein Labyrinth, doch ist andererseits Gradlinigkeit keineswegs erwünscht. Seitengänge, ganz nach Gusto des Betrachters, bieten sich zur Wahl an. Und schon sind wir wieder im Reich der Philosophie und erinnern, dass das Leben selbst einem Weg ähnelt. Für welche Abzweigungen wir uns dann entscheiden, das ist Sache der Individualität, der gesellschaftlichen Realität oder eben Schicksal.

„Breeze“ ist ein ebenso kluges wie sinnliches Projekt, das dem Besucher erlaubt, individuelle Erlebnisse zu beschwören und zugleich an unser kollektives Unterbewusstsein appelliert. Was wir alles mit der Farbe Rot und Bettlaken verbinden, das sind zutiefst intime Momente. Die Geburt, die in Blut getränkten Bettlaken stattfindet, die Entjungferung, die Blutspuren hinterlässt, Menstruation, Sex, Lust und Leidenschaft, all das zählt zu den „roten Momenten“. Die Farbe Rot erfährt eine Fülle an Definitionen, die von Liebe bis hin zu Aggression und Gewalt reichen.

Toni Wombacher informiert, dass „Breeze“ in Verbindung mit dem „:Innen-Projekt“ entstand, das ebenfalls vor kurzem im Kunstverein Montez präsentiert wurde. Sieben Malerinnen, darunter die Künstlerin, beschäftigten sich damit, ob es eine typisch weibliche Kunst gibt. Der weiblichen Domäne zugeordnet wird traditionell die Beschäftigung mit häuslichen Verrichtungen wie etwa Wäsche waschen und aufhängen. Diese Prozesse, indem sie wie bei Wombachers Inszenierung isoliert und überdimensioniert dargestellt werden, laden zur Reflexion ein. Aus der reinen Zweckmäßigkeit befreit führen sie in das Reich der Fantasie und der Kunst, das beiden Geschlechtern zugänglich ist. Aus der kleinen Performance der Stoffe, deren Story sich durch die Partizipation des Besuchers immer wieder neugestaltet, entstehen Emotionen und Nachdenklichkeit. Und schon wieder sind wir bei der Philosophie angelangt und fragen uns, ob und wieviel Erkenntnis wir aus der Trias des Wahren, Guten und Schönen beziehen.

Mit „Breeze“ bietet Toni Wombacher ein Paradebeispiel, was Kunst und Kunstbetrachtung leisten kann. Aus der Freude am künstlerischen Spiel und aus dem schönen Schein entwickeln sich Bezüge zu unserer Realität und im besten Fall sogar Überlegungen, was man verändern sollte. Zu verändern ist allerdings auf keinen Fall die Installation „Breeze“, die noch bis zum 10. Juli zu erleben ist.

Weitere Informationen unter www.kvfm.de

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht am 23. Juni 2022 in Frankfurter Neue Presse