„My eyes closed“ – Schwarz-Weiß Fotografien von Liu Xia erstmals nach 20 Jahren wieder ausgestellt

Text und Fotos von Edda Rössler

„My eyes closed“ – Schwarz-Weiß Fotografien von Liu Xia erstmals nach 20 Jahren wieder ausgestellt

veröffentlicht am 6. Mai 2019 in der Frankfurter Neuen Presse

Ausstellungseröffnung und Künstlergespräch mit der chinesischen Künstlerin Liu Xia in der Frankfurter Galerie Peter Sillem – Künstlerfreund Ai Weiwei reiste eigens aus Berlin an

Erstmals nach 20 Jahren wurden am Freitag (3.5.2019) in der Frankfurter Galerie Peter Sillem künstlerische Arbeiten der Pekinger Künstlerin Liu Xia (58 Jahre) ausgestellt. Die Malerin, Dichterin und Fotografin, Witwe des 2017 verstorbenen Menschenrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, präsentiert 16 schwarz-weiß Fotografien aus den Serien „Ugly Babies“ und „Silk“. An der Vernissage und dem am Samstag durchgeführten Künstlergespräch im Frankfurter Programmkino Harmonie nahm auch ihr prominenter Künstlerfreund, der 61jährige Konzeptkünstler, Bildhauer und Kurator Ai Weiwei teil.

 

Die fragile und zurückhaltende Künstlerin, die nach jahrelanger Unterdrückung, Gefängnis und Hausarrest erst im letzten Jahr aus China ausreisen durfte und seitdem in Berlin lebt, zeigte sich an diesem Abend erstmals einer breiteren Öffentlichkeit. „Liu Xia genießt die Aufmerksamkeit und das Interesse, scheut aber den direkten Dialog“, informiert Galerist Peter Sillem. Noch immer habe sie den Tod ihres Mannes nicht verwunden. „Liu Xia und ihr Mann Liu Xiaobo waren nicht zwei getrennte Individuen, sie bildeten ihren eigenen Kosmos“, berichtet der emeritierte Princeton-Professor und China-Experte Perry Link (74 Jahre). Er schreibt gerade an einer Biografie über den verstorbenen Friedensnobelpreisträger, mit dem er auch befreundet war. Die wohl prominenteste Unterstützung und zentraler Blickfang des Abends war der chinesische Dissident und Ausnahmekünstler Ai Weiwei, derzeit Gastprofessor an der Berliner Universität der Künste. Ai Weiwei ließ es sich nicht nehmen, seiner langjährigen Freundin Liu Xia Beifall für die Ausstellung zu zollen.

 

„Ich dachte, er sei ein schwieriger Mensch“, wunderte sich eine Besucherin über Ai Weiweis charmantes Auftreten. Selbst bei Selfie-Wünschen lächelte er gutgelaunt in gezückte Smartphones. Auch wenn er einige Zeit lang im Mittelpunkt stand, Liu Xia, ihren Arbeiten und ihrer starken Präsenz konnte

sich keiner entziehen.

 

The answer is blowing in the wind!

Die Ende der 90er Jahren entstandenen Arbeiten faszinieren mit ihrer schnörkellosen Asthetik auf den ersten Blick. Die Reduktion auf Schwarz-weiß, durchgängig quadratische Formate und das Pendeln zwischen Abstraktion und Figuration zeugen von Strenge und Konsequenz. Der Betrachter blickt in befremdliche, verstörende Abgründe. Liu Xia geht es nicht um Abbildung der Realität. Selbst bei ihren „Ugly Babies“ wird das verzerrte Puppengesicht nur als Vehikel benutzt, um Seelenchaos und Verzweiflung herauszuschreien. ‚Wieviel Unheil, wieviel Leid kann der Mensch ertragen? Spätestens seit Bob Dylan wissen wir: The answer is blowing in the wind!

 

Bei weitem ist für Liu Xia das Leben im „Goldenen Westen“ nicht das ersehnte Happy End. Unwirklich fühle sich für sie das Leben in Deutschland an, so weit entfernt von Peking und den chinesischen Freunden. An dem Vernissagenabend jedenfalls gewann sie viele neue Freunde.

Die chinesische Künstlerin Liu Xia präsentiert Fotografien in der Peter-Sillem-Galerie Foto: Edda Rössler
Die chinesische Künstlerin Liu Xia präsentiert
Fotografien in der Peter-Sillem-Galerie
Foto: Edda Rössler

 

Kasten Ai Weiwei

„Die krasseste Kunst in China ist es, von der bestehenden politischen Meinung abzuweichen“, informiert Ai Weiwei in dem Künstlergespräch mit seiner Kollegin Liu Xia. Jeder Künstler, der von der offiziellen Regierungsmeinung abweicht, wird als Krimineller eingestuft. Der Künstler empfindet die Beschäftigung mit Kunst als problematisch und begründete das auch mit seiner Kindheit. Bereits sein Vater, der Dichter und Maler Ai Qing musste als regimekritischer Künstler 20 Jahre in einem Arbeitslager verbringen. Wie der Vater so auch der Sohn: Ai Weiwei wurde nach regierungskritischen Äußerungen 2011 mehrere Monate inhaftiert und erhielt bis 2015 Reiseverbot. Seitdem lebt und arbeitet er in Berlin.

Weitere Informationen:

With my eyes closed – Fotografien von Liu Xia

Galerie-Peter-Sillem

4.5.—6.6.2019

Frankensteiner Straße

Frankfurt am Main – Sachsenhausen
Telefon +49 69 61 99 55 50

www.galerie-peter-sillem.com

Öffnungszeiten:

Montag / Dienstag nach Vereinbarung
Mittwoch und Freitag 10–16
Donnerstag 10–18
Samstag 14–16

Künstlerlegende Ai Weiwei zu Besuch in der Galerie Peter Sillem Foto: Edda Rössler
Künstlerlegende Ai Weiwei zu Besuch in der Galerie Peter Sillem
Foto: Edda Rössler

 

Liu Xia – Vita

 

Die Fotokünstlerin, Malerin und Lyrikerin Liu Xia, geboren 1961 in Peking, ist eine der bemerkenswertesten Künstlerinnen der chinesischen Gegenwart und spielte eine zentrale Rolle in der Öffnung der Kunstszene im Beijing der achtziger Jahre. 1996 heiratete sie den chinesischen Intellektuellen und Dissidenten Liu Xiaobo, der 2009 aufgrund seines Engagements für die „Charta 2008“ zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nachdem Liu

Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis erhielt, wurde Liu Xia unter Hausarrest gestellt, ohne je offiziell eines Vergehens beschuldigt, angeklagt oder verurteilt worden zu sein. Liu Xiaobo starb 2017 in Haft, Liu Xias Hausarrest blieb weiter bestehen. Erst im Juli 2018 durfte sie China verlassen, seither lebt sie als Exilantin in Deutschland.

 

Wiedersehen von Freunden in der Galerie Peter Sillem (v.l.) Der China-Experte Perry Link, (Prof. em. Princeton University), Künstlerin Liu Xia (Malerin, Fotografin und Lyrikerin) und Künstlerlegende Ai Weiwei (derzeit Gastprofessor Universität der Künste, Berlin) Foto: Edda Rössler
Wiedersehen von Freunden in der Galerie Peter Sillem
(v.l.)
Der China-Experte Perry Link, (Prof. em. Princeton University), Künstlerin Liu Xia (Malerin, Fotografin und Lyrikerin) und Künstlerlegende Ai Weiwei (derzeit Gastprofessor Universität der Künste, Berlin)
Foto: Edda Rössler

Perry Link – Vita

 

Perry Link ist Chancellorial Chair Professor an der University of California, Riverside, und Professor Emeritus of East Asian Studies an der Princeton University. Er ist Autor zahlreicher Bücher über die chinesische Sprache, Kultur und Literatur, schreibt regelmäßig für The New York Review of Books und hat viele Werke chinesischer Dissidenten, darunter jene Liu Xiaobos

sowie die „Charta 2008“, ins Englische übersetzt.

 

Format der Arbeiten jeweils 50 x 50 cm, es handelt sich um Archival Pigment Prints auf Hahnemühle Fine Art Pearl, Auflage 6 + 1 AP Alle ohne Titel.  Copyright: Galerie Peter Sillem
Format der Arbeiten jeweils 50 x 50 cm, es handelt sich um Archival Pigment Prints auf Hahnemühle Fine Art Pearl, Auflage 6 + 1 AP
Alle ohne Titel.
Copyright: Galerie Peter Sillem