Zwei Herren, ein Künstler: Gilbert & George geben sich in Frankfurt die Ehre

Zwei Namen, zwei Personen, aber nur ein Künstler: Die beiden Gentlemen Gilbert (1943) und George (1942) geben sich anlässlich ihrer großen Retrospektive in der Frankfurter Schirn die Ehre. In stilvollem Ornat schreiten sie durch die Ausstellungshalle, ganz so als würden sie zum Afternoon Tea bei der Queen vorsprechen. Auch optisch bilden sie eine Einheit, beide in edlem Zwirn gewandet, gewienerte Budapester-Schuhe, weißgestärkte Hemden und dezent gemusterte Krawatten unterstreichen das ambitionierte Outfit. Schon auf den ersten Blick wird klar, diese Gentlemen achten auf jedes Detail. Sie erinnern an die teure Londoner Saville Row, doch seit Jahrzehnten ist ihre Heimat das hemdsärmelige Eastend.

Gilbert (1943) und George (1942) vor ihrer Ausstellung „The Great Exhibition“ in der Schirn Frankfurt Foto: Edda Rössler
Gilbert (1943) und George (1942) vor ihrer Ausstellung „The Great Exhibition“ in der Schirn Frankfurt
Foto: Edda Rössler

Bewusst entschieden sie sich für den Ort der Underdogs, der Alkoholiker und der sozial Benachteiligten. „Noch immer sind wir Super-Tramps“, sagt George, der äußerlich einem englischen Lord gleicht. Auch um unter Beweis zu stellen, wie sehr ihr Herz nach wie vor für Menschen in Not schlägt, stimmen sie spontan den Song „Underneath the arches“ an. Das Lied über Obdachlose machte sie in den 60ziger Jahren auf einen Schlag bekannt. Als Abschlussarbeit ihrer Bildhauerklasse, beide studierten im renommierten englischen Kunst-College Saint Martins, luden sie in ein Café. Statt in Marmor gemeißelte Skulpturen zu präsentieren, stellten sie sich auf einen Tisch und agierten zusammen als eine, singende Skulptur. Das Dreamteam Gilbert & George wurde geboren.

Bis heute arbeiten sie als ein Künstler zusammen und amüsieren sich über die Frage, ob sie das nicht mitunter satthaben. „Das ist doch eine blöde Frage, die Heteros gerne stellen!“ Die bekennenden Schwulen zelebrieren in ihrer großformatigen Kunst gerne Penisse, Hintern und stellen überhaupt so alles dar, was mit menschlichen Prozessen zu tun hat, bis hin zur Verdauung. Gerne auch garniert mit knackigen Sprüchen wie „Fuck the vicar!“

Die sehenswerte Ausstellung ihrer Best-ofs aus den Jahren 1971 bis 2016 in der Schirn haben sie übrigens selbst in ihrem Londoner Atelier konzipiert. „Wir sind Kontroll-Freaks“, geben sie zu. Den farbintensiven Werken, die an Glasmalerei erinnern und mitunter naiv-kitschig daherkommen, mangelt es nicht an klaren Botschaften, vor allem gegen die Katholische Kirche. Nicht immer sind sie jugendfrei, aber machen Spaß.

Beide schätzen sich glücklich, in der westlichen Welt mit all den „unerschöpflichen Möglichkeiten“ zu leben. „Das alles ist ausschließlich ein Verdienst der Kultur, nicht der Politik und auf keinen Fall der Religion.“

Dass sie so einiges richtig in ihrem Leben und ihrer Kunst gemacht haben, freut sie. Es berührt sie, wenn ihnen Underdogs wie jüngst ein Drogenabhängiger Anerkennung zollt. „Am liebsten mag ich eure Shit-Bilder“, habe er gerufen. Einen wichtigen Rat haben sie für „Baby-Artists“, für Kunststudenten. „Setz dich jeden Morgen auf Deine Bettkante, schließe die Augen und überlege, was Du der Welt mit Deiner Kunst sagen willst“, so George. Gilbert ergänzt: „And fuck the teacher!“

Trotz des fortgeschrittenen Alters wirken sie so quirlig, dass man ihnen das Unterstatement, sie seien doch nur „old cunts“, alte Ärsche, nicht glauben mag. Verständlich, dass ihr Ruhm selbst Pop-Diva Madonna in den Schatten rückte. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit der Sängerin in einem Londoner Restaurant wollten Madonnas Bodyguards eine Autogrammjägerin verscheuchen. Doch es stellte sich heraus, dass die Dame ausschließlich an einem Autogramm von Gilbert & George interessiert war. Es wäre nicht höflich „Fuck die Diva“ zu sagen, stattdessen aber „Hoch lebe Gilbert & George“!

„The Great Exhibition, Gilbert & George“ ist in der Frankfurter Schirn noch bis zum 5. September 2021 zu sehen.

Weitere Informationen unter www.schirn.de/

Text von Edda Rössler, veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse am 13. August 2021